SHM als Lebenszyklusmanagement
Structural Health Monitoring (SHM) wird von verschiedenen Organisationen unterschiedlich definiert. Einige beschränken es allein auf die Automatisierung der ZfP als strukturiertes System, andere hingegen sehen es integraler im Sinne eines Lebenszyklusmanagements auf Basis einer schadenstoleranten Auslegung und des Betriebs von ingenieurtechnischen Strukturen. Letztere Definition war die Grundlage des diesjährigen EWSHM.
SHM in der Luftfahrt: Ein Rückblick
Einen Ursprung des SHM klar zu identifizieren ist schwierig. SHM wird jedoch seit mindestens vier Jahrzehnten diskutiert und erforscht. Zeit also, den Status Quo ein wenig unter die Lupe zu nehmen. SHM wird vermutlich am längsten in der Luftfahrt diskutiert. Die zeitliche Nähe zur Internationalen Luftfahrt Ausstellung (ILA) auf dem Flughafen BER bot daher eine besondere Gelegenheit, die Entwicklung des SHM retrospektiv in einer ganztägigen Veranstaltung am Vortrag des EWSHM auf der ILA darzustellen, was Airbus Defence & Space als Gastgeber ausgezeichnet gelang.
Ausgehend von der Entwicklung der karbonfaserverstärkten Polymerwerkstoffe seit den 1960er Jahren, die hinsichtlich höchster Beanspruchungen ihre Anwendung z.B. im Eurofighter Typhoon gefunden haben, der auf der ILA auch fliegend zu sehen war, besitzt dieses auf digitaler Basis entwickelte Flugzeug ein komplexes Lastfolge-Messsystem, das es erlaubt, ein entsprechendes Flottenmanagement zu betreiben. Automatisierte ZfP im Sinne eines SHM ist darin allerdings noch nicht zu finden. Solche Lösungen sind derzeit allein auf der Basis des Comparative Vacuum Monitoring (CVM), eines Leckagemesssystems zur Risserkennung, in alternden Passagierflugzeugen seit einem guten Jahr umgesetzt.
Bemühungen laufen derzeit, ähnliche Lösungen auch auf der Basis geführter akustischer Wellen zu ermöglichen. Diese Umsetzung des SHM beschränkt sich allerdings allein auf eine Optimierung der Wartungsplanung. Einen Einfluss auf die schadenstolerante Auslegung haben diese SHM-Systeme bisher noch nicht. Der Grund, warum die Umsetzung in der Luftfahrt so lange dauert, liegt an dem sehr komplexen Zertifizierungsprozess, der von den Luftfahrtsicherheitsbehörden wie EASA und FAA vorgegeben wird und der bei der Veranstaltung auch deutlich zur Sprache kam.
Keynote-Vorträge: Praxis und Zukunft
Das Thema Umsetzung spielte dann auch im Rahmen des EWSHM eine große Rolle. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einem Plenarvortrag von Prof. Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut zum Thema „Climate Change – Our Greatest Challenge“, in dem u.a. ausdrücklich darauf verwiesen wurde, welche entscheidende Bedeutung der Klimawandel auf die Beanspruchungen existenter und zukünftiger Strukturen haben wird.
In einem weiteren Plenarvortrag wurde in einer eindrucksvollen Gemeinschaftspräsentation von Prof. Peter Kraemer von der Universität Siegen sowie Dr. Herbert Friedmann und Dr. Carsten Ebert von Wölfel Beratende Ingenieure dargestellt, wie SHM in Rotorblättern von Windkraftanlagen über die vergangenen 20 Jahre konzipiert, entwickelt, implementiert und als System kommerzialisiert worden ist.
Die Fragestellung der Umsetzung von SHM wurde in einem Vortrag von Prof. Hoon Sohn vom KAIST in Süd-Korea am Beispiel von SHM zur Überwachung von Brückenbauwerken weitergeführt. Er hob die Notwendigkeit hervor, bei Erfolg Aspekte in den Fokus stellen zu müssen, die im akademischen Umfeld vielfach nicht betrachtet werden.
Prof. Steffen Marx von der TU Dresden stellte in seinem Plenarvortrag das DFG Sonderforschungsprogramm 100+ vor, bei dem es um das Ausloten der Möglichkeiten der Lebensdauerverlängerung von ziviler Infrastruktur auf der Basis des SHM geht.
Derk Davershot von Airbus griff in seinem Plenarvortrag viele der auf der vorgenannten ILA-Veranstaltung angesprochenen Aspekte auf und erläuterte, wie man sich derzeit die Einbindung des SHM im Hinblick auf Condition Based Maintenance bei Airbus vorstellt.
Schließlich stellte Dr. Arnaud Recoquillay von CEA in Frankreich in seinem Vortrag eine Möglichkeit zur Überwachung des eines Schienennetzes mit SHM vor.
Die Keynote-Vorträge waren ein Highlight der Veranstaltung. Prof. Lemke hat uns eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig SHM angesichts des Klimawandels wird. Und die Präsentation von Prof. Kraemer und seinen Kollegen hat gezeigt, wie erfolgreich SHM bereits in der Windenergie eingesetzt wird.
Technologie- und anwenderorientiert
Um SHM-Technologie möglichst zum Greifen nah vorzustellen, wurde für einen Tag eine Reihe von Sitzungen eingerichtet, bei denen Demonstratoren im Vortragsraum aufgestellt waren, die in Vorträgen vorgestellt wurden und das Publikum sich in den Pausen dann detaillierter die Vorgehensweise vorführen lassen konnte.
Dass SHM über die Jahre ein zunehmendes Spektrum an Fragestellungen aufgeworfen hat, zeigten auch zwölf vielfach von jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern organisierte Special Sessions, die teilweise über mehrere Sitzungen gingen und Spezialthemen von hoher Relevanz wie z.B. der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens, der Umgang mit großen Datenmengen, Umwelteinflüsse auf Sensorsysteme oder auch verschiedenste Anwendungsfacetten im Bauingenieur- und Transportwesen oder der Windenergie betrachteten.
Neben diesen Special Sessions gestaltete sich noch eine Reihe an technologie- und anwendungsorientierten Sitzungen, letztere insbesondere im Zusammenhang mit dem Bauingenieurwesen und der Luftfahrt. Dieses breite Programm führte zu acht parallelen Sitzungen an den ersten drei Tagen, die alle gut besucht und von einer teilweise lebhaften Diskussion begleitet waren. Die Pausen gaben den verschiedenen Ausstellern, die vielfach auch mit eigenen Vorträgen beteiligt waren, Gelegenheit zu zeigen, dass SHM zunehmend einen Markt gefunden hat bzw. findet. Mit dieser Breite und Fülle an Aktivitäten waren die räumlichen Möglichkeiten am Veranstaltungsort bis zum Anschlag erschöpft.
Den Abschluss des EWSHM bildete ein Besuch bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin und hier insbesondere im Bereich ZfP und SHM für das Bauwesen, was zu der Vorveranstaltung auf der ILA eine sehr abgerundete Ergänzung darstellte.
Best Student Paper Award
Erfreulich war u.a. die Teilnahme von 130 Studierenden mit überwiegend eigenen Beiträgen, die viel Hoffnung für die Zukunft des SHM geben. Aus diesen Beiträgen wurden die zehn besten Beiträge ausgewählt, die in einer Sonderausgabe des ReJNDT von NDT.net gegen Ende des Jahres 2024 publiziert werden und aus denen dann das Paper und die/der Autor*in gewählt wird, der/dem der Best Student Paper Award verliehen werden soll.
EWSHM 2026 in Toulouse/Frankreich
Proceedings und auch eine Bildergalerie, die auf der Tagungswebseite zu finden sind, vermitteln weitere Eindrücke dieser Veranstaltung, für dessen gelungenen Rahmen dem erfahrenen Tagungsteam der DGZfP allseitig größtes Lob gespendet wurde.
Der nächste EWSHM wird Anfang Juli 2026 in Toulouse/Frankreich stattfinden. Vielleicht betrachten die französischen Kollegen wie 2014 in Nantes die Veranstaltung in Deutschland wieder als eine „Steilvorlage“. Der EWSHM und internationaler Fußball waren schon immer terminlich eng miteinander verbunden.